Philippinen

Philippinen, 16. September 2018

Rolling Clinic – ein Bildbericht

Liebe Alle,

die hier eher harmlosen Ausläufer des Taifuns Mangkhut und zwei ebenfalls harmlose, aber trotzdem nicht angenehm zu erlebende kleine Erdbeben liegen hinter uns. Zeit für den zweiten Einsatzberichtsteil aus Mindoro, der wieder etwas mehr medizinische Inhalte hat (manche Bilder am Schluss muss NICHT jeder angucken!), aber damit auch für die Nichtmediziner was dabei ist, beschreibe und bebildere ich am mal einen Tag unterwegs mit der Rolling Clinic – einverstanden?

Nach dem Taifun nahm die Strassennässe doch deutlich zu

Punkt 7 Uhr morgens geht es los, je nach Regenintensität der Nacht ist es um 8 Uhr schon schweißtreibend warm und das Gelände trocken oder es ist grau, vielleicht gar neblig und der Boden eine einzige nasse Rutschpartie im Schlamm: beides für‘s Kistenschleppen doof – aber man sich‘s ja ausgesucht…

Manchmal halten wir vor einem gemauerten sogenannten Health Center und richten uns da für den Tag ein, meistens aber sind es leicht bis stark baufällige Bambushütten, manchmal nur so was wie strohüberdachte Marktstände.

Sodann wird das mit Kisten, Taschen, Klapptisch etc. vollgestopfte Auto entladen. Hier, wie in Nord-Luzon, gibt es zur Hilfe dabei oft eine Sorte mir sehr sympathischer kleiner Frauen, die stark, zäh, unermüdlich und fast immer fröhlich sind: sie schleppen bei Bedarf Lasten wie ihr eigenes Lebendgewicht – und dass das z.T. nur gute dreißig Kilogramm sind, macht die Tatsache keineswegs weniger beeindruckend!

34 kg, 7 Kinder, selbst bewirtschaftete Farm

Als erstes wird die Anmeldung aufgebaut; jedes Dorf verwahrt seine Krankenakten selbst und bringt sie nun her (alle 4 Wochen kommt die Rolling Clinic wieder ins selbe Dorf). Dann wird jeder gewogen (das ist für die Dosierungen oft enorm wichtig: die müssen hier niedriger als in Deutschland ausfallen [Faustregel: 1 g’standener Oberbayer entspricht 2 bis 2,5 Philippinos]).

Andrang bei der Anmeldung

Außerdem werden, sehr vorbildlich und arbeitserleichternd, nicht nur Blutdruck, Puls, ggf. Temperatur und Datum der letzten Monatsblutung eingetragen, sondern auch die Beschwerden schon notiert, bei Tuberkuloseverdacht in sogar perfekter Weise mit allen B-Symptomen, eventuellen Expositionen, Familiensituation etc. Auch die Übersetzungsqualität ist hier so sehr viel besser als auf Luzon, dass auch mehr als 100 Patienten am Tag schaffbar sind.

Vor Sprechstundenbeginn wird eine Begrüßungsrede gehalten und ich muss mich – auf Tagalog, was meist größeres Hallo hervorruft – vorstellen, ehe entweder ein kleiner Gesundheitsvortrag oder etwas Gymnastik folgen. Dabei machen meist Jung und Alt mit.

Ich stelle mich vor


Alle mitmachen: Gymnastik, bevor es los geht!


Die Mangyan sind ein mir sympathisches, gutmütiges und bescheidenes und trotz aller Armut humorvolles Völkchen; ein paar Stellvertreter habe ich für Euch fotografiert.

Zwei zutrauliche Rotznasen


Ein kleines Model in Mangyan-Festtracht


Alter Mangyan-Krieger


Mama mit Auswahl ihrer Kinder



Ältere Mangyan-Dame


Zwei Schüchterne

Das RC-Team besteht aus 5 Leuten: Der Fahrer fungiert auch als Helfer in der Anmeldung und in der Medikamentenausgabe; eine Schwester hat vollauf mit dem Aufbau der Pharmacy, dem Rausgeben der Medikamente und vor Allem mit den sehr notwendigen Erklärungen dazu zu tun; eine zweite Schwester erledigt das Labor (Urintests, Blutabnahmen, Zucker-Stixe, Schwangerschaftstests) und Alles, was mit Tuberkulose zu tun hat – was auch hierzulande einiges an Formulareausfüllen mit sich bringt.

Ambulante Apotheke

Zum Schluss gibt es noch die teamleitende und gleichzeitig übersetzende Schwester sowie mich, die wir den eigentlich bequemsten Job haben: sich mit den Patienten unterhalten (und den Kaffee wegtrinken).


Außer natürlich meiner selbst sind alle Teammitglieder Mangyan und sprechen daher beachtlicherweise jeder drei Sprachen – Tagalog, Mangyan und wenigstens halbwegs Englisch. Von Empfängnisverhütung über Infektionsvermeidung bis zu Ernährungshinweisen gibt es auch häufigen Beratungsbedarf.

Häufige Krankheitsbilder sind Hauterkrankungen in hunderterlei Form (infektiös meist, aber oft auch allergisch bedingt), Atemwegsinfekte, Asthma, Wurmerkrankungen, üble Mittelohrentzündungen, Diabetes, Rücken- und Zahnschmerzen, Schilddrüsenprobleme (sicher durch die schlechte Jodversorgung bedingt), Psychosen und Epilepsien. Malaria gibt es hier seit einer Handvoll Jahren nicht mehr. Tumore, Verletzungen, Typhus, Dengue, Chikungunya und Varizellen kommen vor; Schwangerenvorsorgen sind zu machen und ganz viele Kinder zu behandeln.

Außer bei den Allerkleinsten läuft aber alles sehr diszipliniert ab; es wird geduldig gewartet und klaglos hingenommen, wenn mal wieder irgendwelche Medikamente fehlen; auch die Kinder quengeln oder nörgeln nicht – auf die Idee, mittags etwas zu Essen zu verlangen, wenn es länger dauert, kämen hier weder Kinder noch Erwachsene jemals.

Mit zu den beeindruckensten Erkrankungen – auch wenn sie hier glücklicherweise viel seltener ist als z.B. in Westafrika – zählt schwere Unterernährung bei Kindern. Übertroffen wird sie jedoch noch von der Tuberkulose – besonders von den hier nicht seltenen extrapulmonalen Formen: am häufigsten als Befall der Wirbelsäule, die meist bleibende Deformierungen und öfter bleibende Lähmungen mit sich bringt. So gehäuft habe ich das in anderen Einsatzländern noch nicht gesehen.

Wonneproppen beim Wiegen

Die Transportfrage ist für stark geschwächte Patienten oft prekär: Krankenwagen gibt es auf den Dörfern nicht, es muss gelaufen werden oder man muss sich tragen lassen oder das Universaltransportsystem Motorrad in der sog. Sandwichmethode benutzen (Patient eingeklemmt zwischen Fahrer und Begleitperson[en]).

Frau trägt ihren Mann zur Behandlung

Unentdeckt und unbehandelt tötet die Tuberkulose auch – so erlebbar in der Geschichte des jungen Vaters mit 5 Kindern, deren Mutter vor 6 Wochen an TBC verstorben war. Das jüngste Kind war in dieser Frist bereits in schwere Unterernährung geraten: da blieb Krankenhauseinweisung unvermeidbar.

Die Tb-Diagnostik (der Sputumausstrich, ggf Röntgen oder der GenXpert) läuft recht effektiv vorwiegend im Hintergrund ab; als Doktor hat man damit nur wenig und vorwiegend nur mit neuen Fällen oder Komplikationen zu tun.

Tja, und wenn irgendwann alle Patienten abgearbeitet sind, muss Alles wieder in Kisten, Kartons, Taschen verstaut werden, ehe es zurück geht. Im Gegensatz zum Nord-Luzon-Projekt wird auf Mindoro nur selten unterwegs übernachtet, i.d.R. geht es abends ins Staff house zurück, wo ich dann, so wie jetzt, Kaffee trinkend und auf WLAN-Empfang hoffend an Euch schreibe.


Viele liebe Grüße,
Euer R.

Achtung – hier folgen jetzt die medizinischen Bilder!

Hautpilz (Pitirysiasis versicolor)


Lippenkarzinom nach jahrzehntelangem Bethelmissbrauch


Verschlepptes Knie-Empyem, nun Fistel und Kontraktur


Abszess, von Wirbelsäuln-Tb ausgehend


Erstmals(!) ärztlich vorgestellter Brustkrebs


Beinlähmung durch Wirbelsäulen-Tbc


Kind mit schwerster Herzkrankheit


Prachtvolle Läusekolonie


Was fällt auf?


Röntgenbild mit Lungenabszess


Mit Zahnweh rechts


Eine der unzähligen Strumen

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Philippinen, 19. August 2018

Mindoro

die Anreise zu dem German Doctors Projekt auf Mindoro, von dem ich Euch heute erzähle, war eine etwas längere: Nach dem Nachtflug wurde ich in Manila einem wahrhaft monsunartigen Platzregen begrüßt, reiste dann per Bus Richtung Südwest zum Hafen von Batangas. Dabei kam ich am Vulkan von Taal vorbei, einer wirklichen Zeitbombe, auch wenn sie nicht tickt: ein großer runder Kratersee, in dessen Mitte noch mal ein Vulkankegel mit eigenem Kratersee aufragt, in dem sich wiederum eine kleine Insel befindet. Der Vulkan brach zwar zuletzt 1965 aus, wird aber äußerst scharf beobachtet, da einerseits die Umgebung ob ihrer enormen Fruchtbarkeit sehr dicht besiedelt ist, andererseits der Vulkan weiter aktiv ist: u. A. steigt die Temperatur des Sees manchmal drastisch an – in den 90er Jahren waren es mal 60°(!) – und dann wird die Bevölkerung in die vielerorts vorhandenen evacuation centers gescheucht.

Taal Vulkan

Taal See mit Vulkan

In Batangas fuhren wegen Sturm+Regen die „super fast“ Katamarane nicht, nur ein alter langsamer Dampfer steuerte den Zielhafen Calapan auf der siebtgrößten (von 7100) philippinischen Insel Mindoro an, welcher am Fuß des 2600m hohen Mt.Halcon liegt. Dieser erlangte seinerzeit einige Bekanntheit, als hier 1982 der (vorerst) letzte japanische Soldat aus dem 2.Weltkrieg aufgespürt wurde, der sich weiterhin weigerte, seine „Stellung“ aufzugeben, bis sein herbeigeschaffter ehemaliger vorgesetzter Offizier ihm dann den Befehl dazu erteilte.

Damit komme ich zu den Mangyan, der Ureinwohnerschaft Mindoros, die die Zielgruppe des Projektes darstellen: sie, die abseits der moderneren philippinischen Zivilisation leben, werden den Japaner gekannt, aber aus guten Gründen nicht weitergemeldet haben. Sie meiden die sie oft diskriminierenden Küsten-Filipinos, sprechen oft auch nicht deren Verkehrssprache Tagalog (geschweige denn Englisch), tragen ihre eigene Tracht, die Männer manchmal sogar noch einen Lendenschurz.

Mangyan Mutter und Kind

Mangyan Mutter und Kind

Sie haben sogar eine eigene, wohl aus dem mittelalterlichen Indien entlehnte Silbenschrift. Arm sind sie sowieso und werden immer mehr ins kaum erschlossene Inselinnere abgedrängt. Gottseidank können sie überall ihre Früchte anbauen (besonders Kokosnüsse, Bananen, Mangos, Lychees und und und) – der Boden ist so fruchtbar, dass der berühmte Besenstiel, der, in die Erde gerammt, nach einigen Wochen blühen soll, hier – fast – wahr sein könnte.

Mangyan Silbenschrift

Mangyan Silbenschrift

Das Hauptquartier und Ausgangspunkt für unsere Rolling Clinic-Touren liegt im weiter südlich gelegenen Ort Mansalay, noch mal 4 Autostunden entfernt. Wir steuern bei diesem „Rolling Clinic“ Projekt mit unserem Geländewagen die abgelegenen Mangyan-Siedlungen an – gestern bspw. mussten wir 14 mal einen Fluss durchfahren, um dahin zu gelangen – und bauen dort für einen Tag improvisierte Sprechzimmer, Apotheke und Patientenannahme auf. Im Gegensatz zum vorigen Einsatz auf Luzon kehren wir hier jeden Abend ins „Staffel House“ zurück.

Mein Sprechzimmer

Eines meiner „Sprechzimmer“

Dieser Ausgangspunkt für unsere Touren liegt im weiter südlich gelegenen Ort Mansalay, noch mal 4 Autostunden entfernt. Im Vergleich zu meinem Luzon-Einsatz im Frühjahr bietet dies Quartier schon beinah luxuriöse Wohnverhältnisse – insbesondere das funktionierende westliche Klo und die immer ergiebige Kaffeequelle weiß ich sehr zu schätzen!!

Mein philippinisches Frühstück

Mein philippinisches Frühstück

Die Herausforderung hier liegt neben Luftfeuchte, Regengüssen und Mücken mehr in der am Haus vorbeiführenden, belebten Landstraße: nachts das Fenster zuzumachen geht bei den Temperaturen einfach nicht, ein Überleben ist, wenn überhaupt, nur mit Ohropax möglich. Wenn ich Ende September wiederkomme, ruft besser nicht mehr an, sondern schreibt Briefe oder SMS – denn vielleicht bin ich bis dahin zwar nicht erstickt, aber wahrscheinlich endgültig ertaubt …

😉

Bis demnächst wieder, viele Grüße,
Euer R.

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Philippinen, 8. Mai 2018

Die 118. Reismahlzeit …

… war das Frühstück im Bergdorf Aggancan: der unvermeidliche knoblauchgewürzte Reis plus Bratfisch und Gemüse von gestern (man gewöhnt sich auch daran!).
Um sieben Uhr schultern wir die Rucksäcke, wandern erst über eine rostige Hängebrücke über den Fluss zur anderen Talseite und dann durch Reisfelder auf so schiefen wie rutschigen und steilen Pfaden bergauf zum Health Center des nächsten Dorfes. Trotz der frühen Stunde ist es schon ziemlich heiß und wir bereits durchgeschwitzt. Weiterlesen …

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Philippinen, 11. April 2018

In den Bergen der Kopfjäger

für die unter Euch, die eher zur Rubrik „Wo-liegen-die-Philippinen-noch-mal-genau?“ gehören, hier fix die Kurzfassung der Basics:

Die laut letzten Zählungen rund 2000 bewohnten und 5000 unbewohnten Inseln und Felsbrocken im Meer liegen sozusagen „rechts neben Vietnam“ im Pazifik. Die zweitgrößte der Inseln, Mindanao, wo ich 2014 in einem Einsatz war, liegt mal eben 1800 km südlicher als die Nordspitze der größten philippinischen Insel Luzon, wo ich jetze unterwegs bin. Weiterlesen …

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Philippinen, 20. Juni 2014

Im Wilden Osten

Da hilft nur noch Muskelkraft

Da hilft nur noch Muskelkraft

Nein, nein, ich mag Reis. Wirklich. Und ich lass mich davon nicht abbringen – Reis ist klasse und nahrhaft und schmeckt prima! Jawohl.
Aber momentan schleicht sich in sein und mein Verhältnis eine gewisse Ambivalenzkomponente ein. Denn Reis gibt es auf unserer Rolling Clinic Tour durch die Berge Ost-Mindanaos nicht nur zum Mittagessen und zum Abendbrot, sondern auch zum Nachmittagstee und (Ihr werdet’s erraten haben) auch schon zum Frühstück.

Aber wir bleiben Freunde, der Reis und ich; bestimmt.
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