Aber momentan schleicht sich in sein und mein Verhältnis eine gewisse Ambivalenzkomponente ein. Denn Reis gibt es auf unserer Rolling Clinic Tour durch die Berge Ost-Mindanaos nicht nur zum Mittagessen und zum Abendbrot, sondern auch zum Nachmittagstee und (Ihr werdet’s erraten haben) auch schon zum Frühstück.
Aber wir bleiben Freunde, der Reis und ich; bestimmt.
Hiervon abgesehen ist die Tour aber ein Marlboro-Abenteuer ganz nach meinem Geschmack. Der Tourbeginn wirkte ein wenig sizilianisch: Um beim Ortsvorsteher der Gegend, in der wir tätig sein wollten, die notwendige Genehmigung erteilt zu bekommen, mussten wir ihn auf seinem auf einer Anhöhe thronenden Anwesen aufsuchen, dessen Zufahrt und er selbst von drei schwer mit Munitionsgürteln beladenen Schnellfeuergewehrträgern bewacht wurden. Der Würdenträger selbst kam uns dann aber nicht als zigarillo-rauchender, maßanzugbekleideter Paten-Typ, sondern als kleiner dicker Unterhemdenträger entgegen.
Übernachten dürfen wir, wenn wir Glück haben, in solide gebauten und manchmal sogar stromversorgten Health Centers, ansonsten in Dorfschulen oder barangey (Gemeinde)-halls, welche manchmal nur recht löcherige Bretterwände haben. Da ab zehn Uhr abends hier in der Gegend, aus nicht ganz herausfindbaren Gründen, Ausgangssperre herrscht, gibt mir das Gelegenheit, euch mit dem Begriff des „Comfort Room“ bekanntzumachen: so werden hierzulande schamhaft die Toiletten umschrieben. Und da sie auf dem Dorfe eher nicht so in die Schul- bzw Baranguey-“Gebäude“ integriert sind, ist der Verstoß gegen die Ausgangssperre manchmal nicht vermeidbar. Fern des Mafioso-Ortsvorstehers kümmert sie eh keinen groß, unnötig oft aber verstößt man auch nicht dagegen: Detailschilderungen erspare ich Euch, aber marmorgefliest sind diese Comfort rooms nicht.
Völlig begeistert bin ich aber von den Strecken, die wir so fahren: teilweise mussten wir uns etappenweise mit unserem Landcruiser die Schlammwege heraufwinschen, dann Steine heranschleppen oder Bananenstauden fällen, um den Rädern Aufsetzmöglichkeiten zu bieten. An einigen Stellen haben Erdrutsche die Wege (so was Straße oder auch nur Piste zu nennen, sperrt sich die Tastatur) verlegt oder sie zur Talseite hin abgebrochen, so dass zur Schaufel gegriffen werden muss, an anderen Stellen wird nicht nur durch einen Fluss, sondern auch mal ein Stück in ihm entlang gefahren.
Das Fortbewegungsmittel der Bergbevölkerung (hier heisst die Volksgruppe Manobo) ist manchmal noch der Wasserbüffel oder das Pferd (worunter man sich aber nichts Trakehner-Ähnliches, sondern eine eher ponygrosse Micker-Sorte vorstellen muss), meistens aber eine Art Geländemotorrad meist chinesischer oder indischer Herkunft. Die amtlich angegeben max. Gewichtsbelastung der Motorräder wird dabei hierzulande als Angabe eines Viertels dessen verstanden, was man problemlos zuladen kann. (Ich schwör‘s: auf der Strasse kamen uns mit 6(!) Leuten beladene 200ccm-Maschinen entgegen; im Gebirge waren‘s bspw. Passagiere plus vier 80-kg-Säcke Mais. Als uns einer dieser Hellrider bergab entgegenkam und uns bedeutete, dass seine Bremsen nicht funktionieren würden, schüttelten aber sogar meine philippinischen Teamkollegen die Köpfe …)
In den Dörfern kommt, wenn die Strecken passierbar sind, alle 6 Wochen die Rolling Clinic vorbei. Von den Patienten kann annähernd die Hälfte nicht lesen oder schreiben, ein Drittel kennt sein Geburtsdatum nicht und der Großteil der – jedoch auffällig kleinen – Rentnerfraktion ist betelnuss-bekifft: anders scheint sie mangelnde Perspektive, Entbehrung oder vielleicht auch Hunger nicht gut aushalten zu können. Schön zu erleben ist der Familienzusammenhalt: auch wenn oberfächliche Zärtlichkeit ganz selten zu beobachten ist, werden sowohl die Uralten wie die Behinderten oder Entstellten irgenwie mitgetragen. Bei zwei, drei besonders heftigen Beispielen von Lippenkiefergaumen-Spalten (bei einem kleinen Mädchen beidseits bis zu den Augen reichend) habe ich mich sehr gefragt, welchen Ausgrenzungen sie wahrscheinlich ausserhalb ihrer Bergdorfabgeschiedenheit ausgesetzt wären.
Die kärglichen Hütten, arg zerrissene Kleidung und Unterernährung, Tuberkulosen, Hauterkrankungen, Anämien und Wurmbefall zeigen nur allzudeutlich, dass diese von uns besuchte Bevölkerungsgruppe nicht zum Kundenkreis der glitzernd-modernen Einkaufs-Malls der philippinischen Städte gehört. Um so schöner finde ich es wiederum, Mindanaos Wildem Osten erleben und hier arbeiten zu können!
Viele liebe Grüße – aus diesem einfach auch sehr schönen Land –
Euer
R.