Liebe Alle,
die hier eher harmlosen Ausläufer des Taifuns Mangkhut und zwei ebenfalls harmlose, aber trotzdem nicht angenehm zu erlebende kleine Erdbeben liegen hinter uns. Zeit für den zweiten Einsatzberichtsteil aus Mindoro, der wieder etwas mehr medizinische Inhalte hat (manche Bilder am Schluss muss NICHT jeder angucken!), aber damit auch für die Nichtmediziner was dabei ist, beschreibe und bebildere ich am mal einen Tag unterwegs mit der Rolling Clinic – einverstanden?
Punkt 7 Uhr morgens geht es los, je nach Regenintensität der Nacht ist es um 8 Uhr schon schweißtreibend warm und das Gelände trocken oder es ist grau, vielleicht gar neblig und der Boden eine einzige nasse Rutschpartie im Schlamm: beides für‘s Kistenschleppen doof – aber man sich‘s ja ausgesucht…
Manchmal halten wir vor einem gemauerten sogenannten Health Center und richten uns da für den Tag ein, meistens aber sind es leicht bis stark baufällige Bambushütten, manchmal nur so was wie strohüberdachte Marktstände.
Sodann wird das mit Kisten, Taschen, Klapptisch etc. vollgestopfte Auto entladen. Hier, wie in Nord-Luzon, gibt es zur Hilfe dabei oft eine Sorte mir sehr sympathischer kleiner Frauen, die stark, zäh, unermüdlich und fast immer fröhlich sind: sie schleppen bei Bedarf Lasten wie ihr eigenes Lebendgewicht – und dass das z.T. nur gute dreißig Kilogramm sind, macht die Tatsache keineswegs weniger beeindruckend!
Als erstes wird die Anmeldung aufgebaut; jedes Dorf verwahrt seine Krankenakten selbst und bringt sie nun her (alle 4 Wochen kommt die Rolling Clinic wieder ins selbe Dorf). Dann wird jeder gewogen (das ist für die Dosierungen oft enorm wichtig: die müssen hier niedriger als in Deutschland ausfallen [Faustregel: 1 g’standener Oberbayer entspricht 2 bis 2,5 Philippinos]).
Außerdem werden, sehr vorbildlich und arbeitserleichternd, nicht nur Blutdruck, Puls, ggf. Temperatur und Datum der letzten Monatsblutung eingetragen, sondern auch die Beschwerden schon notiert, bei Tuberkuloseverdacht in sogar perfekter Weise mit allen B-Symptomen, eventuellen Expositionen, Familiensituation etc. Auch die Übersetzungsqualität ist hier so sehr viel besser als auf Luzon, dass auch mehr als 100 Patienten am Tag schaffbar sind.
Vor Sprechstundenbeginn wird eine Begrüßungsrede gehalten und ich muss mich – auf Tagalog, was meist größeres Hallo hervorruft – vorstellen, ehe entweder ein kleiner Gesundheitsvortrag oder etwas Gymnastik folgen. Dabei machen meist Jung und Alt mit.
Die Mangyan sind ein mir sympathisches, gutmütiges und bescheidenes und trotz aller Armut humorvolles Völkchen; ein paar Stellvertreter habe ich für Euch fotografiert.
Das RC-Team besteht aus 5 Leuten: Der Fahrer fungiert auch als Helfer in der Anmeldung und in der Medikamentenausgabe; eine Schwester hat vollauf mit dem Aufbau der Pharmacy, dem Rausgeben der Medikamente und vor Allem mit den sehr notwendigen Erklärungen dazu zu tun; eine zweite Schwester erledigt das Labor (Urintests, Blutabnahmen, Zucker-Stixe, Schwangerschaftstests) und Alles, was mit Tuberkulose zu tun hat – was auch hierzulande einiges an Formulareausfüllen mit sich bringt.
Zum Schluss gibt es noch die teamleitende und gleichzeitig übersetzende Schwester sowie mich, die wir den eigentlich bequemsten Job haben: sich mit den Patienten unterhalten (und den Kaffee wegtrinken).
Außer natürlich meiner selbst sind alle Teammitglieder Mangyan und sprechen daher beachtlicherweise jeder drei Sprachen – Tagalog, Mangyan und wenigstens halbwegs Englisch. Von Empfängnisverhütung über Infektionsvermeidung bis zu Ernährungshinweisen gibt es auch häufigen Beratungsbedarf.
Häufige Krankheitsbilder sind Hauterkrankungen in hunderterlei Form (infektiös meist, aber oft auch allergisch bedingt), Atemwegsinfekte, Asthma, Wurmerkrankungen, üble Mittelohrentzündungen, Diabetes, Rücken- und Zahnschmerzen, Schilddrüsenprobleme (sicher durch die schlechte Jodversorgung bedingt), Psychosen und Epilepsien. Malaria gibt es hier seit einer Handvoll Jahren nicht mehr. Tumore, Verletzungen, Typhus, Dengue, Chikungunya und Varizellen kommen vor; Schwangerenvorsorgen sind zu machen und ganz viele Kinder zu behandeln.
Außer bei den Allerkleinsten läuft aber alles sehr diszipliniert ab; es wird geduldig gewartet und klaglos hingenommen, wenn mal wieder irgendwelche Medikamente fehlen; auch die Kinder quengeln oder nörgeln nicht – auf die Idee, mittags etwas zu Essen zu verlangen, wenn es länger dauert, kämen hier weder Kinder noch Erwachsene jemals.
Mit zu den beeindruckensten Erkrankungen – auch wenn sie hier glücklicherweise viel seltener ist als z.B. in Westafrika – zählt schwere Unterernährung bei Kindern. Übertroffen wird sie jedoch noch von der Tuberkulose – besonders von den hier nicht seltenen extrapulmonalen Formen: am häufigsten als Befall der Wirbelsäule, die meist bleibende Deformierungen und öfter bleibende Lähmungen mit sich bringt. So gehäuft habe ich das in anderen Einsatzländern noch nicht gesehen.
Die Transportfrage ist für stark geschwächte Patienten oft prekär: Krankenwagen gibt es auf den Dörfern nicht, es muss gelaufen werden oder man muss sich tragen lassen oder das Universaltransportsystem Motorrad in der sog. Sandwichmethode benutzen (Patient eingeklemmt zwischen Fahrer und Begleitperson[en]).
Unentdeckt und unbehandelt tötet die Tuberkulose auch – so erlebbar in der Geschichte des jungen Vaters mit 5 Kindern, deren Mutter vor 6 Wochen an TBC verstorben war. Das jüngste Kind war in dieser Frist bereits in schwere Unterernährung geraten: da blieb Krankenhauseinweisung unvermeidbar.
Die Tb-Diagnostik (der Sputumausstrich, ggf Röntgen oder der GenXpert) läuft recht effektiv vorwiegend im Hintergrund ab; als Doktor hat man damit nur wenig und vorwiegend nur mit neuen Fällen oder Komplikationen zu tun.
Tja, und wenn irgendwann alle Patienten abgearbeitet sind, muss Alles wieder in Kisten, Kartons, Taschen verstaut werden, ehe es zurück geht. Im Gegensatz zum Nord-Luzon-Projekt wird auf Mindoro nur selten unterwegs übernachtet, i.d.R. geht es abends ins Staff house zurück, wo ich dann, so wie jetzt, Kaffee trinkend und auf WLAN-Empfang hoffend an Euch schreibe.
Viele liebe Grüße,
Euer R.
Achtung – hier folgen jetzt die medizinischen Bilder!