Uganda, 16. April 2016

Zucht und Ordnung

"Ja, mer san mim Radl da ..."

„Ja, mer san mim Radl da …“

Schüler in Deutschland, Ihr Weicheier, hört auf, Euch zu beschweren!! Was Ihr so als Stress bezeichnet – dem will ich mal gegenüberstellen, wie der Alltag in der hiesigen St Gertrude’s School in Mutolere/Uganda aussieht. In dieser katholischen Mädchen-Internatsschule, aus der ich manchmal Patienten hatte, sieht der Alltag montags bis samstags so aus:

05.00 Uhr: Aufstehen, putzen, aufräumen
06.00 – 08.00 Uhr: Unterricht
08.00 – 09.00 Uhr: Frühstücken, dann Esssaal und Küche aufräumen
09.00 – 13.00 Uhr: Unterricht
13.00 – 14.30 Uhr: Mittagessen
14.30 – 18.00 Uhr: Unterricht
18.00 – 19.00 Uhr: Lerngruppen
19.00 – 19.45 Uhr: Abendessen
19.45 – 21.00 Uhr: Unterricht
21.00 – 22.00 Uhr: Haus- und Küchenarbeit
22.00 Uhr: Licht aus!

Sonntags dürfen sie wild faulenzen: bis 7 Uhr schlafen, bis 8 Uhr frühstücken, dann Gartenarbeit und statt Unterricht Gottesdienst von 11 bis 13 Uhr. Anschließend tatsächlich Freizeit – aber nur auf dem Schulgelände; heimfahren zu den Eltern ist nicht: das gibt’s nur in den Ferien. Ausgehen, Fernsehen, Einkaufen etc etc: alles Fehlanzeige!
Also, einheimische Pennäler: lasst das Jammern sein und seid froh, da zu sein, wo ihr seid!

Gute Ratschläge

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Auch die zur Illustration beigefügten (und konspirativ abgelichteten) Schilder sind ja nicht wirklich das, was wir in einer deutschen Schule aufgehängt erwarten würden, oder? Jedoch, so bizarr sie dem europäischen Auge zunächst erscheinen mögen – angesichts der zunehmenden AIDS-Gefahr in Ostafrika kann man nachdenklich werden: vielleicht ist’s hierzulande ja doch nicht so verkehrt.
(Bild bitte anklicken zum Vergrößern, dann kann man die Schilder besser lesen.)

„Meine Amerikaner“ sind inzwischen weg: nun ist wieder mehr medizinische Alltagsarbeit angesagt. Neben der Kinderstation gehört jetzt auch die Ambulanz zu meinem Aufgabengebiet. Hier hatte ich dieser Tage den (von selbst zur Welt gebrachten Kindern abgesehen) jüngsten Patienten meines Berufslebens: es wurde mir ein 14 Stunden(!) zuvor auf dem Feld geborener Junge gebracht, denn die junge Mutter sorgte sich berechtigterweise deshalb, weil das Kind zwar normal tränke, aber überhaupt noch keinen Tropfen Urin produziert hätte. Bruchstücke längst verdrängten Fußnotenwissens aus den Pädiatrielehrbüchern über Nierenfehlbildungen, Blasenaplasien oder fehlenden Uretheren (angeborenes Fehlen von Teilen der ableitenden Harnwege), mit denen ich noch nie zuvor in Berührung gekommen war, schossen mir durch den Kopf, während wir das sonst normal erscheinende Baby zum Ultraschall brachten. Irgendwann fand ich da glücklich die beiden winzigen Nieren; auf der anschließenden Suche nach einer Blase wirkte der im Vergleich zum Kindsbauch anderthalb Mal so breite Schallkopf riesenhaft. Und wie ich ihn da so auf diesem Miniaturbauch herablasse, krampfhaft auf den Bildschirm starrend, merke ich plötzlich, wie mir was feuchtes Warmes den Kittelärmel herunterläuft: dem Schallkopfdruck hatte Bübchens Blase offensichtlich nicht mehr standhalten können und die Natur bahnte sich ihren Pipi-Weg.
Aber ich habe zuzugeben, dass wir alle ein paar Sekunden brauchten, ehe wir das kapierten und zu jubeln begannen!

Auffällige Beobachtungen waren zum Einen, wie viele Malariafälle wir in der jetzigen Regenzeit trotz der Höhe unseres Ortes hatten: der alte Grundsatz „Keine Malaria oberhalb 1800 Höhenmetern“ ist offensichtlich nicht mehr haltbar. Zum Anderen war auffällig die hohe Zahl an Kleinkindern mit schweren Atemwegsinfekten, meist mit obstruktiver Komponente (für die Mediziner: die auch intraindividuelle Häufung macht es unwahrscheinlich, dass das Alles Bronchiolitiden waren; Allergien wiederum sind in der hiesigen Bevölkerung eigentlich wirklich selten). Diese haben mich Einiges an Nachtschlaf gekostet – aber es haben alle überlebt.

Leider gelang das nicht bei einem 8 jährige Mädchen aus der Chirurgie, die nach Behandlung einer eigentlich banalen Kopfplatzwunde bald nach Hause geschickt wurde, aber eine gute Woche später wiederkam und sehr schnell an Tetanus verstarb: hier war einfach nicht geimpft worden. Ein zweiter erschreckender Fall war eine 12jährige, die an den Folgen einer Mandel-Auskratzung verstarb: diese Prozedur, vorwiegend an Kindern, wird von traditionellen Heilern bei banalen Erkältungskrankheiten und auch mal nur bei Heiserkeit so durchgeführt, dass mit einem Holzstückchen oder auch nur mit dem Fingernagel die Mandeln an- oder gar ausgekratzt werden. Dass dabei Infektionen und Blutungen häufig sind, ist nicht verwunderlich. Bisher hat Aufklärung gegen diese Unsitte (die ich bislang erst hier kennengelernt habe) nicht viel ausrichten können.

Nun endet meine Zeit hier in Kürze – dann hat mich das Kontrastprogramm des deutschen Medizinalltags bald wieder.
Seid, liebe Alle, herzlich gegrüßt
von Eurem
R.

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