Uganda, 3. März 2016

“Amerika, du hast es besser …“

…als unser alter Kontinent“ dichtete einst Goethe. Nun lasse ich ja sonst auf den guten Johann Wolfgang wenig kommen, aber hier kann ich ihm nicht restlos zustimmen. Zumindest nicht mehr so ganz, seit ich hier in Uganda, wieder im Krankenhaus am Fuße der Gorilla-Berge, meine Erfahrung mit der Supervision amerikanischer Jungdoktoren gemacht habe.

Nun schon die zweite Woche bin ich hier, um neben meinen Pädiatrie- und Ambulanzjobs noch das tropenmedizinische Treiben von vier sog. „Residents“ der University of Connecticut im Auge zu behalten. Das ist einerseits eine neue und sowohl amüsante und lehrreiche Erfahrung, bei der mein Nervenköstum gar nicht so sehr belastet wird durch die erwartete Bakteriophobie der Amis (sie desinfizieren ALLES, bis hin zum Kugelschreiber) und ihren Abkürzungsfimmel, den sie gerne auch noch so artikulieren, als hätten sie ein Zungenhölzchen quer im Munde. Und ganz sicher haben sie alle eine profunde und detaillierte, wenn auch ein wenig streng in tabellarischem Denken verhaftete Ausbildung erhalten: das Detailwissen ist oft recht beeindruckend.

Nein, was mehr stört – und bei dem Gedanken befremdet, man könnte selbst mal in Amerika zum Patienten werden – ist der ihnen selbst bei Banalstem eingebrannte, zwanghafte Leitgedanken, sich vor Allem Anderen erst mal gegen zukünftige Klagen, sie hätten etwas versäumt, abzusichern: das ist fast wichtiger als der Heilerfolg und es wird ein Maximum an Diagnostik, Dokumentation und polypragmatischer Übertherapie gemacht, welches nicht immer leicht zu begrenzen ist. Noch mehr belastet aber meinen ja eigentlich bekannt langen Geduldsfaden, wie viel Zeit die Visiten mit den Amis beanspruchen: während ich mich bei den Schwestern zu entschuldigen pflege, wenn ich mal länger als 2 Stunden brauche, bringen wir es derzeit auf locker 5 bis 6 Stunden. Die Patienten lachen schon, wenn ich mich dauernd zu ihnen auf den Bettrand setze, um mein durchs lange Stehen ächzendes Kreuz zu entlasten, während meine Amis immer noch unermüdlich jedes Detail der Erkrankung erörtern und sich in Diskussionen über noch´n Laborwert, noch ´ne therapeutische Maßnahme verlieren…

Aber wir haben auch Spaß miteinander und die Vier entsprechen auch dem positiven Vorurteil gegenüber den Amis, dass sie sehr freundlich, sehr höflich, extrovertiert, dankbar und „social“ und immer optimistischer Stimmung und stets bereit sind, das Positive hervorzuheben: das haben sie uns europäischen Griesgramen zugegebenermaßen voraus!

Esther

Aber ab Ende nächster Woche kann ich wieder allein schalten und walten. Dann schreibe ich noch mal und gebe auch wieder ein paar medizinische Döneken (in salopper europäisch-afrikanischer Manier) zum Besten. Heute erst mal nur von meiner (amerikanerfreien) Kinderstation ein Bild von Esther (deren Mutter mir erlaubt hat, die Bilder zu machen und zu verschicken): sie leidet unter einem sog. „Nephrotischen Syndrom“, einer Erkrankung, bei der durch Nierenentzündungen unterschiedlichster Art der Wasser und Salzhaushalt des Körpers dramatisch durcheinander geraten. Hier kann man sehen, was allein zwischen dem 2. und 4. Therapietag (am ersten vergaß ich, zu fotografieren) ein paar Tabletten Cortison und Entwässerungsmittel bringen können.

Viele Grüße von der Südhalbkugel,
Euer R.

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