Uganda, 1. September 2015

Ein Autoreifen im Bauch…

Untersuchung

…und ein Apfel auf dem Auge waren die chirurgischen Highlights der letzten Woche hier im ugandischen Mutolere: Der erste Fall war ein sog. Sigma-Volvulus, eine in Europa seltene, in Afrika aber etwas häufiger gesehene Erkrankung durch eine sich um ihre eigene Längsachse verdreht habende große Dickdarmschlinge. Nach dem Öffnen des enorm aufgetriebenen Bauches sprang uns eine Sigmaschlinge entgegen, die das Format eines Autoreifenschlauches hatte: ich habe mir bis zu diesem Tage nicht vorstellen können, dass Darmgewebe (sonst hat das Sigma einen Durchmesser um 4 cm) derart grotesk überdehnbar ist, ohne zu zerreißen!! Der ältere Herr hat das Alles überstanden, wegen einer Darmnekrose (Gewebsuntergang) mit Lochbildung an der Verdrehstelle muuste ihm allerdings ein vorrübergehender künstlicher Darmausgang gelegt werden.

Beim zweiten Fall handelte es sich um eine junge Frau aus Ruanda, die mit einem apfelgroßen, aus der linken Augenhöhle herausquellenden Tumor gekommen war, der angeblich binnen drei Wochen gewachsen war: es war alles Andere als ein schöner Anblick (und das Foto davon zeige ich auch ausschließlich Medizinern). Noch ist die Histologie (mikroskopisches Untersuchungsergebnis) der entnommenen Proben nicht zurück. Aber nach Allem, was ich inzwischen darübergelesen habe, dürfte es sich um ein Rhabdomyosarkom oder einen ähnlich unschönen Tumortyp handeln – und damit dürfte die arme Frau verloren sein.

An der Chirurgie beteilige ich mich hier aber nur an den OP-Tagen. Außer dass ich seit Kurzem auch die Kinderstation mitbetreue, ist meine Hauptaufgabe hier die Arbeit auf den Inneren Stationen plus Isolierstation als Anhang. In letzterer finden sich HIV und Tuberkulosefälle – und obwohl ich durchaus schon so Einiges an solcherart Fällen bei meinen Einsätzen zu behandeln hatte, ist dies hier das erste Mal (im Gegensatz zu den anderen Ländern, in denen nationale Vorgaben der Aids- und Tb-Programme die Behandlungswege vorbestimmten), dass ich mir die Tuberkulosemedikamente und die HIV-Therapien der 1. und der 2.Linie selbst zurecht zu suchen habe. Eine lehrreiche Erfahrung.

Unser neuester diesbezüglicher Patient ist aus dem Kongo herübergekommen und seine Lunge fast eine einzige Tuberkel-Kolonie: weil er in seinem Heimatland die eigentlich kostenfreien Tb-Medikamente doch nur gegen zusätzliches Bakschisch und auch dann nur unregelmäßig erhielt, hatte er bald seine Therapie abgebrochen. Nach neuem Krankheitsausbruch hat ihn seine Familie hierherzukommen gedrängt – zwar muss er als Nichtugander die Tbl bzw die Streptomycin-Injektionen selbst bezahlen, bekommt sie aber wenigstens sicher. Kompliziert und dadurch ebenfalls lehrreich, am Ende aber leider erfolglos war die Behandlung einer Aids-Patientin mit massivem Cryptococcose- Befall (eine heftige Form einer Pilzerkrankung bei Immungeschwächten) der Haut und vor allem des Gehirns: die Angehörigen, obwohl modern und eher wohlhabend gekleidet sowie durchaus gebildet erscheinend, waren angesichts ihrer Psychose unverrückbar vom Einwirken von Dämonen überzeugt; es hat viel Mühe gekostet, sie nicht die Therapie zugunsten von Beschwörungen abbrechen zu lassen.

Als katholisches Krankenhaus hat das St. Francis Hospital so seine Eigenarten: so gut sonst das Allermeiste klappt – jedoch sonntags, wenn Kirche ist, findet zwar ein Gesangsumzug über alle Stationen statt, aber weder Röntgen noch Labor noch Ultraschall sind erbettel- oder erzwingbar. Daran hat man sich zu gewöhnen.

Und in den Anamnesen, den Krankengeschichten, wird von den Schwestern und von den zahlreichen Pflegeschülern (die ich nebenher ein wenig unterrichte) bei der Sozialanamnese nicht etwa schnöde wie bei uns geschrieben „verh., 3 Kinder“, sondern noch in der größten Zeitnot wird regelmäßig formuliert „patient is married and blessed with six children“. Vor einigen Tagen stand bei einem Patienten „blessed with two wives and 17 children“… Da habe ich einen Moment überlegt, wie für diesen geprüften Mann bei uns in Deutschland wohl ein Mutter-Kind-Kurantrag aussehen würde??

Und diese Überlegung wiederum erinnert mich daran, dass nun bald schon meine Rückreise bevorsteht: Viele Grüße an Euch, liebe Alle, Euer R.

Weiterempfehlen

Frank Pessler 01.09.2015

Na, da sag mal einer, dass man daraus nicht ein BUCH machen könnte!

B. und M. Gehre 01.09.2015

Hallo R.!

Wieder haben auch wir Nichtmediziner den Berticht mit riesigem Respekt und großen Interesse gelesen. Dir eine erfolgreiche, einfühlsame und geordnete „Restzeit“ in Uganda und schon jetzt eine gute Heimreise!

Wir „schieben“ ab Mitte September mal wieder ein paar Tage Grömitz ein….

Wäre sehr schön, wenn es mal wieder mit einem Treffen klappen würde…

vG. aus Bielefeld
Bettina und Michael

meike düker 02.09.2015

Hi rolf,klingt ja wieder mal sehr spannend.gott sei dank haben wir solche Krankheitsbild kaum hier.
Schulter Op. ist super gelaufen.schmerzt noch ordentlich aber die Beweglichkeit ist schon kein Vergleich mehr.hoffe dich bald gesund wiederzusehen. Liebe grüße meike

Beate v.Stumpff-Sohler 10.09.2015

WAs für ein Entwicklungshelfer in diesen Zeiten!
…wenn unser Schlafmützenverein(Politiker),auf derartige Akteure schon früher großzügig aufmerksam geworden wäre…ebenso auf nichtmedizinische Bereiche, dann hätten wir
sicher jetzt nicht dieses Ausmaß an Flüchtlingen…
BRAVO,für Deinen persönlichen Einsatz und ein erfolgreiches Auftanken,lieber Rolf-Ferdinand!
Beate

Beate v.Stumpff-Sohler 10.09.2015

Bravo!