Sierra Leone, 2. Januar 2012

Wie ich Millionär wurde

Das Buschkrankenhaus

Das Buschkrankenhaus

Gleich nach Weihnachten bekam ich eine Nachbescherung: ich wurde Millionär.

Und das ging ganz einfach: aus dem weihnachtlich verzierten Wohnzimmer fuhr ich zum weihnachtlich geschmückten Langenhagener Flughafen und flog von da aus zu den weihnachtlich geschmückten Flughäfen London und Freetown/Sierra Leone, wo es dank weihnachtlicher Feiertagsstimmung mit dem rechtzeitigen Abholen nicht so ganz klappte. Daher musste ich mir etwas Geld eintauschen, auch wenn ich wusste, dass bis Mitte Februar nicht allzu viel Gelegenheit zum Ausgeben sein würde. Im recht afrikanischen Getümmel dieses Flughafens (vom Gebäude her eher einem dt. Kleinstadtbahnhof entsprechend) schob ich also 200 € über den Banktresen und bekam einen 3 cm hohen Geldstapel zurück, der 1 Million und sechzigtausend SL Leones enthielt.

Mit Dagobert-Duck-ähnlich vollgestopften Hosentaschen gelangte ich dann zum Strand(!), von dem das Seelenverkäuferboot nach Freetown abging (der Flughafen liegt auf der Nordseite einer großen Flussmündung, die Hauptstadt selbst auf der Südseite). Im Stockdunklen (Stromausfall) gelangten wir endlich an irgendeiner Pier an, wo ich nur knapp verhindern konnte, dass der Koffer mit dem Mikroskop mit Schwung an Land geworfen wurde. Inzwischen bin ich in Serabu angekommen und bin nur noch Halbmillionär, da ich ja in eine SIM-Karte und eine Modemumprogrammierung investieren musste, um Euch diese Zwischennachricht zu senden.

Wir befinden uns drei (=Trockenzeit) bis fünf (=Regenzeit) Stunden von der nächsten Teerstrasse entfernt in einer leicht hügeligen Regenwaldregion von großer Landschaftlicher Schönheit. Der Ort hat nur ein- bis zweitausend Einwohner, die in zumeist noch strohgedeckten, recht malerischen Häusern wohnen, ist aber dennoch durch ein paar Läden, Kirche, Polizei und unser Krankenhaus Zentrum eines recht großen Einzugsgebietes. Wir drei europäischen Ärzte (außer mir eine dt. Pädiaterin und eine ital. Inetrnistin) haben ein kleines Wohnhaus auf dem großzügigen Krankenhausgelände und werden – fkt. Nachschub vorausgesetzt – gut bekocht, aber es gibt kein fließendes Wasser oder Strom: im ganzen Krankenhaus kann nur on Request per stinkendem Dieselgenerator mal ein einzelnes Gebäude (beispielsweise der OP, der Sonoraum oder freundlicherweise unsere Unterkunft mal abends) stundenweise mit Strom versorgt werden.

Der Feiertage wegen habe ich den hiesigen afrikanischen Arzt noch nicht mal kennengelernt: er ist „on leave“ und kommt erst Mittwoch wieder. Also stand mir der Sprung ins symbolische kalte Wasser bevor (der ins echte wäre mir bei den hiesigen Temperaturen lieber): gleich meine erste Op, wenige Stunden nach Eintreffen, bestand in einer Bauchrevision bei recht ausgedehnter Peritonitis (für die Nichtmediziner: Bauchfellentzündung) infolge einer Kaiserschnittentbindung ein paar Tage vorher. Wieder Erwarten hat sie, neben ein paar kleineren anderen Sachen, irgendwie hingehauen. Am Silvesterabend wollten wir (die Ärzte und eine brasilianische Pharmaziestudentin) dann in der hiesigen Kneipe, gleichzeitig der einzigen Bezugsquelle für kaltes Bier in meilenweitem Umkreis, begehen.

Aber ich hab‘s uns Allen verdorben: Eine Schwangere mit riesigem Bauch kam nicht weiter. Dienst hatte die unerfahrenste und schüchternste Hebamme von Allen, die sich garnix zu sagen traute. Untersuchen geht eh nur gespensterhaft im Taschenlampen- oder Petroleumleuchtenlicht, Wehenschreiber oder Ultraschall im Kreißsaal gibt‘s eh nicht. Nach dem Entschluss zur Sectio geht‘s Drama weiter: OP-Schwestern oder Anaesthesiepfleger, Elektriker für Strom – alle sind sie weg, die meisten im Gottesdienst (von 21 bis 24 Uhr): der Wachmannstellt sich um Mitternacht vor die Kirche, um Einige davon abzufangen. Bis wir den Anästhesiemenschen finden, ist es ein Uhr – wir drei hatten schon überlegt, wie wir selbst Anaesthesie und Kindabnehmen machen könnten, die Pharmaziestudentin hätte assistiert… Um es kurz zu machen: mit Assistenz der Pädiaterin und Rückenstärkung der enorm erfahrenen Op-Schwester hat dieser mein erster afrikanischer Kaiserschnitt (ein 4,4 kg großes Kind bei einer 1,52 cm großen Mutter…) dann funktioniert: Kond, Mitter und Operateur haben es heile überstanden. (Und ich könnte Jörg Gade vom hannoverschen Friederikenstift an dieser Stelle jetzt abknutschen!) Ein verspätetes Neujahr prosteten wir uns dann um drei Uhr zu – sofort Einschlafen klappte dann bei mir aber nicht gleich … 🙂

Weiterempfehlen