Sierra Leone, 10. Januar 2012

Cold war, cold beer, cold weather: mitten in Afrika

Die chirurgische Frauenstation

Die chirurgische Frauenstation

Einige Sectios und Appendektomien weiter hat sich fast schon ein wenig Alltag und Normalität hier breitgemacht. Die Sierra Leonans scheinen entweder besonderen Wert auf Sonntagskinder zu legen oder haben vielleicht einfach nur am Wochenende Zeit, ihre Kinder zu gebären: auch diesen Sonntag ist die Maternity (Gebärstation) voll gewesen und es fielen an diesem sowieso arbeitsreichen Tag gleich zwei Kaiserschnitte an. Am Ende dieses Tages habe ich mir dann das erste Star-Bier gegönnt: nix Gutes mehr gewöhnt (auch einen Kühlschrank haben wir in unserem Krankenhaus nicht) kriegte ich erst mal ein Oh-Schreck-Sodbrennen, was ich aber schnell als psychosomatische Zimperlichkeit einordnen und deshalb die nächsten anderthalb Flaschen wonnevoll genießen konnte. Wenn man das nur jeden Tag machen könnte!

Seit zwei Tagen ist es wieder verflixt warm, aber vor ein paar Tagen musste ich mir ungläubig den Schweiß von den Augen wischen, als ich die Einheimischen nachts mit Pudelmütze und Pullover oder Anorak erblickte: aber das Thermometer war ja auch auf schon wirklich gefrierpunktnahe 26, fast nur noch 25° gefallen..!

Das Skurrilste aber geschah mir, als nun doch der alte afrikanische Chirurg eintraf, der bis voriges Jahr hier allein(!) gearbeitet hat und mir ein bisschen was aus seinem ungewöhnlichen Lebensweg erzählte: nicht nur, dass er mal Leibarzt eines der Präsidenten vor dem Bürgerkrieg war und deshalb mal mit auf Staatsbesuch in Amerika war, wo er Jimmy Carter und Jaqueline Kennedy die Hand gab, sondern auch, dass er zu den sozialistischen Zeiten seines Landes nach Moskau geschickt worden ist, zum Studieren an der Patrice-Lumumba-Universität. Dass ich mich mal mitten im afrikanischen Busch auf Russisch über sowjetische Bierbraukünste und eisige Moskauer Winterlebensverhältnisse unterhalten würde, hätte ich mir nun auch nie träumen lassen.

Apropos Träume: auch meinen chirurgischen Angsttraum habe ich wahr werden sehen – ein eingeklemmter Riesenleistenbruch, ein vor Schmerz stöhnender Patient, nicht mal Zeit, noch schnell was nachzulesen (und Kargbo, der afrikanische Kollege, an dem Tag noch nicht da). Wie´s wirklich zugegangen ist, weiß ich nicht mehr: unsere extrem erfahrene Op-Schwester hat mich aber irgendwie durchdirigiert.

Und apropos Kühlschrank: Das ist hier eines unserer größten Probleme – nicht wegen des Bieres, sondern weil wir keine Blutkonserven kühlen können. Wann immer jemand Blut braucht (u.a. wegen Operationen, noch häufiger aber wegen z.B. schwerster Malaria-Anämie), bedeutet das hier eine Lebendtransfusion – was übersetzt heißt, dass entweder ein Familienangehöriger was spenden muss oder dass der Laborant durchs Dorf hetzt, um einen passenden Spender aufzutreiben. Manchmal holt er sich auch Blut bei uns, aber das geht natürlich nicht so häufig (was aber den Spaß erlaubt, die Patienten nachher sichtbar mit der Nachricht zu irritieren, dass sie nun Pumui-blood (weißes Blut) in sich hätten.)

Seit vorigen Donnerstag der vorhin beschriebene Dr. Kargbo zurückkehrt, bin ich fürs erste aus der ganz großen chirurgischen Gefahrenzone und vor Allem aus der Alleinverantwortlichkeit heraus. Das lässt etwas Luft, sich auch mehr mit den internistischen, besonders den tropischen Krankheiten, zu befassen.
Aber davon vielleicht im nächsten Rundbrief mal mehr,

für heute, auf gut russich-afrikanisch:
Do swidanije, towarischtschi!

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