Ghana, 21. November 2013

Vom Lernen und Lehren; von A bis Z

Gibbon-Affe St. Martin bei seiner täglichen Visite

Gibbon-Affe St. Martin bei seiner täglichen Visite

Mehrere Anfragen erreichten mich zu „St.Martin“ und wollten ihn mal zu sehen kriegen (tz,tz! Es waren wohl nicht Alle von Euch am 11. November zum Singen auf der Straße??) Hier ist er nun, aufgenommen vom hiesigen Anästhesisten – draußen im Gelände ist dieser unstete, hyperaktive Geselle kaum porträtierbar.
Das Stichwort „hyperaktiv“ bringt mich, wie letzthin versprochen, zu all den Krankheiten, die mir allein in den ersten 2 Wochen untergekommen sind.Für die (tropen-)medizinisch Interessierten hier zunächst eine trockene reine Auflistung, fast komplett von A bis Z:

Amöben, Allergien, Anaemien (Rekord-Hb 2,8),
Bewusstseinstrübungen, Bluthochdruck, Bauchhöhlenschwangerschaft
Cerebrale Toxoplasmose, COPD, Cellulitis (so heißen hier schwere Erysipele)
Diarrhoe, Dehydratation, Diabetes
Eklampsie, Epilepsie
Fieber, Frakturen, Fibroids (so heißen hier Gebärmutter-Myome; Rekord: 6kg!)
Glaukom, Gasbrand, Giardiasis
Herzbeuteltamponade, Hautausschläge, HYpertonie, HIV
Incomplete abortion
Juckreiz, Jigger (Tungiasis)
Kryptokokken, Ketoacidose
Lungentuberkulosen, Leberfibrosen
Madurafuss, Milzschwellung, Marasmus, Malaria
Neisseria meningitidis, Nephrotisches Syndrom
Ohrfremdkörper, Osteomyelitiden
Pneumonien, Prostatahypertrophie, Peripartum-Cardiomyopathie
Quallennessel-Ausschläge
Rabies, Rheumatische Cardiomyopathie
Schlangenbisse, Sichelzellanämie, Schlaganfall
Tetanus, Trichomonas vaginalis, Typhus (auch mit Perforation)
Uretherstriktur
Virushepatitis B+C, Valium-Intoxikation
Wurmerkrankungen, Wundheilungsstörungen
X-Ray (Röntgen)
Y
Zoster, Zuckerkrankheit

Den -Strich bei Ypsilon hätte ich zu gerne mit Yellow Fever (Gelbfieber) ausgefüllt – denn das fehlt mir sozusagen „in meiner Sammlung“ noch … 😉

Aber dafür gab es ein paar andere „Premieren“: 2 Tage nach der neulich geschilderten Uterusruptur sah ich zum ersten Mal das Vollbild eines Erwachsenen-Tetanus (Wundstarrkrampf) – ich kannte bisher nur Neugeborenen-Tetanien.
Am allerbemerkenswertesten war, noch 2 Tage später, ein Fall von Tollwut (Rabies): so was hatte ich zuvor noch nie erlebt, bisher immer nur die Symptome im Lehrbuch gelesen. Die Reizbarkeit, die unbremsbare Unruhe, der Speichelfluss und vor Allem eine völlig bizarre Wasserphobie machten dieses tragische Ereignis (Tollwut endet immer tödlich) zu einer enorm beeindruckenden Erfahrung.
Mit mehr Heilerfolg verbunden war ein anderes Ersterlebnis: noch nie hatte ich bisher eine tuberkulöse Perikarditis (Herzbeutelerguss) selbst punktiert. Bei einem Bauchultraschall war mir das durch die Flüssigkeitsmenge klein in seinem Herzbeutel zusammengedrückte Herz aufgefallen. Diese Punktion wird in Deutschland, wenn sie jemals vorkommt, mindestens hochsteril, am Besten im OP und mit Röntgenkontrolle durchgeführt – ein gewisses Gruseln, als ich mit einer dicken Nadel Richtung Herz einstach, will ich nicht verhehlen!
Auch erstmals in meinem Leben habe ich einen Glaukom-Anfall (erhöhter Augeninnendruck) mit Mannitolinfusionen behandelt; wieso ich – mangels geeigneter anderer Therapien – diese Möglichkeit noch aus Studienzeiten in irgendeiner Gedächnishinterstube aufbewahrt habe, weiß ich auch nicht.
Und das typische Gewebeknistern einer Gasbrand-Infektion habe ich auch schon buchstäbliche Jahrzehnte nicht mehr getastet gehabt.
Ferner gab es noch eine Tungiasis-Behandlung (Sandflöhe haben sich in(!!!) den Zehen vergraben), das Entfernen eines Kieselsteines aus einem sich heftig zur Wehr setzenden Kinderohr, das Management von Schlangenbissen (einer machte ein Debridement notwendig), Harnröhrenverengungen und Quallennesselverätzungen (u.a. bei leichtsinnigen deutschen Gastärzten …).

Da dies Krankenhaus im Vergleich zu meinen kenianischen und sierra-leonischen Erfahrungen deutlich entwickelter ist, kann es sich nicht nur mit einem funktionierenden Beatmungsgerät und einer ebensolchen Klospülung (was viel wichtiger ist!) brüsten, sondern auch mit einer zwar altertümlichen, aber hinreichenden Röntgenanlage: so glaube ich, allein schon in der allerersten Woche mehr Tuberkulose-Röntgenbilder gesehen zu haben, als zuvor in meinem gesamten Berufsleben. Das war natürlich äußerst lehrreich.

Im Gegenzug bin ich gebeten, zur hiesigen Fortbildung beizutragen. Bei den sich hier auffällig häufenden Patienten mit Bluthochdruck und Diabetes werde ich gern zu Konsilen geholt. Da ich auch um ein, zwei Vorträge gebeten wurde, werde ich morgen und nächste Woche jeweils über Kardiologie, speziell Herzinfarktgefährdung etwas möglichst Geistreiches (hat seine Grenzen, jaja) sagen und auch EKG-Fortbildung machen (wobei es uns noch an einem Gerät fehlt – daran muss noch schwer gearbeitet werden). Beim Ultraschall ist die „Befruchtung“ sozusagen gegenseitig: ich lerne was zu geburtshilflichem Ultraschall und die jungen Assistenten gucken bei mir beim Abdomen-Ultraschall zu.

Aber irgendwann gibt es auch mal PAUSEN vom Lernen, Lehren, Arbeiten. So sind für die freien Sonntage Ausflüge in Nationalparks und zu Sklavenburgen, wie es sie hier an der ghanaischen Küste gibt, vorgesehen. Davon und mehr von Land und Leuten, Ergötzlichem und Erstaunlichem berichte ich Euch dann beim nächsten Mal. Soviel Medizinlastiges gibt es erst mal nicht wieder – versprochen! Während Ihr Euch wahrscheinlich schon Dominosteine und Spekulatius zwecks Voradventsstimmung zu Gemüte führt, gehe ich jetzt (nach meinem Blutspenden habe ich heute Abend „frei“ gekriegt) bei unweihnachtlichen 37° zum Fufu-Essen, welches das hiesige Nationalgericht ist: die Gourmet-Kritik dazu folgt!

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