Liebe Alle,
vom Wochenende in Ghanas Hauptstadt Accra habe ich das beigefügte Motiv mitgebracht. Es zeigt den Black Star Triumphbogen, der anlässlich Ghanas Unabhängigkeit von Großbritannien, 1957, errichtet wurde. Ghana (die ehemals sog. Goldküste) ist damals eine der ersten Kolonien in Afrika gewesen, die die Unabhängigkeit erreichten. Es hat seitdem als Erfolge vorzuweisen, dass es der Wirtschaft etwas besser geht als den Nachbarn, Armut weniger immens weit verbreitet ist und sich allmählich eine kleine Mittelschicht herausbildet, die – wenn sie es bezahlen kann – sogar Zugang zu einer recht guten akademischen Ausbildung hat. Der Staat ist – wie oft auf diesem Kontinent – überbürokratisch, aber Manches – unter Hintansetzung europäischer Maßstäbe – funktioniert immerhin irgendwie. Vor Allem aber: trotz aller evtl. Mauschelei und Schiebung bleibt festzuhalten, dass Ghana seit seiner Gründung keine Putsche, sondern nur demokratische Machtwechsel erlebt hat und damit zu Recht als eine der wenigen Demokratien auf diesem Kontinent rühmen darf. Stolz prangt nun auf dem Triumphbogen (aber auch jeder Banknote und jedem offiziellen Stückchen Papier) das Staatsmotto „Freedom and Justice“ – Freiheit und Gerechtigkeit.
Aber – Ihr ahnt es schon, wenn ich’s so elaboriere – es hat mit Freiheit und Gerechtigkeit so seine beobachtbaren Grenzen. So hat Ghana zwar die Sklavenwirtschaft, die es in manchen Gegenden noch bis vor gut hundert Jahren auch innerhalb der ghanaischen Gesellschaft gegeben hat, abgeschafft. Aber es gibt Angestelltenverhältnisse mit einem derartigen Abhängigkeitsverhältnis, dass mancher Landarbeiter, Fischereihelfer etc. Schulden bei seinem Chef hat, um sich genug Lebensmittel leisten zu können. Die Freiheit, die er hat, um sich diesem Mangel an Gerechtigkeit zu entziehen, besteht nur in flüchten und erst mal untertauchen (manches Eheverhältnis erscheint übrigens durchaus ähnlich). Man gut, dass man später irgendwelchen Verfolgungsansprüchen des Ex-Arbeitgebers durch ein kleines Taschengeld an den zuständigen Polizeibeamten entgehen kann: so wird dann ja tatsächlich Gerechtigkeit wiederhergestellt, da nun der ausbeutende Arbeitgeber das Nachsehen und die Familie des Polizeibeamten wieder mehr zu essen hat. Mit der Freiheit hat es auch so seine Einschränkungen: zwar darf sich – wenn er die Mittel hat – jeder Ghanaer innerhalb seines Landes frei bewegen, er darf – wenn er an dem Tag nicht arbeiten muss – auch wählen gehen, er darf bis zur Mittelschule Bildung erwerben. Wenn ihm dann keiner eine Weiterbildung spendiert, hat er sodann im Wesentlichen noch die Freiheit zu wählen, in welche Abhängigkeit er sich begeben möchte.
Andere haben mehr Freiheiten.
Beispielsweise – und erhellend für den m.E. so unseligen afrikanischen Autoritätsglauben – war das Kennenlernen des hiesigen ghanaischen Energieministers und des örtlichen Königs. Ja, Letzteres gibt es hier noch! Sogar mehrer Dutzend davon im gesamten Land, je nach Tradition der jeweiligen Gegend. Zwar dürfen sie weder Sklaven halten noch militärisch tätig werden oder sich in die große ghanaische Politik einmischen, aber kleiner Rechtsangelegenheiten obliegen ihnen und sie müssen in vielen Dingen wenigstens um Rat gefragt werden. Von so etwas wie Oberhäuptlingen andere Länder unterscheiden sie sich durch dies kleine Quäntchen mehr Machtfülle, eine echten Hofstaat und manchmal sogar durch eine Krone und dadurch, dass das Amt in echter monarchischer Sitte erblich ist. Bei meinem vorigen Aufenthalt in Eikwe war mir die Existenz eines örtlichen Königs gar nicht bewusst gewesen, bis man jetzt beiläufig erwähnte, dass der neue Kini (Bayern: verzeiht!) bei seiner Inauguration habe verlautbaren lassen, dass er keine Hunde und Ziegen möge. Und in der Tat fiel es dann auch mir Begriffsstutzigem auf: in ganz Eikwe und Umgebung – ganz im Gegensatz zum übrigen Land – keine einzige Ziege, kein einziger Hund!
Letzte Woche stand nun der Krankenhaushof eines Tages randvoll mit Geländewagen der Luxusklasse: anlässlich der offiziellen Einweihung eines Anbaus der Ante-Natal-Clinic waren nicht nur „unser“ König, sondern auch der Energieminister samt Staatsekretären (und die alle mit je einem ganzen Tross aus Sekretärinnen und Bodyguards) gekommen, dazu der Manager der italienischen Gas-Öl-Firma Agip, die hier vor der Küste nach Gas bohren darf und ein riesiges Pipeline-Pumpwerk errichtet. Funk, Fernsehn, Presse waren natürlich auch einbestellt – schöne Bilder von Wohltätigkeit sind ja immer willkommen… Eine der Vertragsbedingungen für diese Fördererlaubnis war die Spende von 1 Million US$ zugunsten des Gesundheitswesen, zur getreulichen Verwendung an den Energieminister weiterzuleiten. Ich hatte an dem Tag sehr viel zu tun und war nur genervt, mich immer durch die Menschenmengen durchzuwühlen. Später erst erfuhr ich, was mich doch hätte zu näherem Beobachten des Schauspiels, welches auch Gesangsvorführungen und Tänze durch Schulklassen, vor Allem aber endlose Redeverlesungen beinhaltete: Der fabelhafte Anbau hat laut Schätzung um die 70.000 US$ gekostet, mit Einrichtung etc vielleicht ca 100.000 $. Bleibt ja immer noch eine gewisse Differenz zur ganzen Million, gelle? Nun ja, ein Teil davon wird auf dem Parkplatz wiederzufinden gewesen sein, den anderen Teil wird der Herr Minister ganz besonders wohltätigen Zwecken zugeführt haben.
Und diesem Kleptokraten, der sich alle Freiheiten seines Amtes nehmen kann, leistet niemand Widerspruch – im Gegenteil wird er hofiert, denn seine Machtfülle ist groß, man könnte ihn ja mal wieder brauchen…
Die hiesige staatliche Gesundheitsverischerung nimmt sich übrigens seit 4 Monaten die Freiheit, zwar weiter Beiträge einzuziehen, aber nicht mehr zu bezahlen. Dass führt dazu, dass die Krankenhäuser, um schlicht weiterbestehen zu können, jetzt die Patienten zur Kasse bitten müssen. So habe ich mich zwar hier über spannende Fälle gefreut (u.a. tatsächlich eine Ohnmacht nach Kokosnussaufprall auf ungeschützten Kopf, eine Schrotschussverletzung knapp an der Milz vorbei aber durch die linke Lunge hindurch, auch durfte ich, nach vielen Jahren, mal wieder Schultereinrenken üben) – aber das Gefühl, den Patienten finanzielle Lasten aufzubürden (so bescheiden die Summen im Vergleich zu deutschen Verhältnissen sind), ist nicht schön und eine moralische Zwickmühle: natürlich möchte man dem einzelnen Patienten Kosten ersparen, aber darf auch keinesfalls das Ganze – das Krankenhaus selbst und damit seine Versorgung für die Bevölkerung – gefährden.
Soviel derzeit von mir aus zu Freiheit und Gerechtigkeit,
viele Grüße,
Euer
R.