Liberia, 22. Februar 2015

„Was machen wir hier eigentlich?“

Stiefelausgießen in Monrovia

Stiefelausgießen in Monrovia

Liebe Alle,

Ebola ist m.W. aus Euren heimatlichen Schlagzeilen verschwunden – aus der Alltagsrealität hier jedoch noch nicht: die Epidemie schwelt noch immer weiter, zwar auf erfreulichst niedrigem Niveau, ist aber keineswegs beendet. So hat letzte Woche ein einzelner, zunächst unerkannt gebliebener Patient 17(!) weitere Menschen mit Ebola angesteckt. Um Ebola jedoch nicht – was eine Katastrophe wäre – endemisch werden zu lassen (d.h., dass sich der Keim dauerhaft in Westafrika einnistet und mal mehr, mal weniger große, aber andauernde Bedrohung darstellen wird), kommt es drauf an, wirklich ausnahmslos alle Infektionsfälle zu finden, sie zu isolieren und die komplette maximal mögliche Krankheitsdauer über effektiv zu isolieren. Das tun zwar schon die etwa 20 ETU´s (Ebola Treatment Center), die es hierzulande gibt.

Unsere deutsche, vom Roten Kreuz und der Bundeswehr betriebene Unit hat, wie schon im vorigen Beitrag erwähnt, darüberhinaus den Auftrag vom MoH (dem hiesigen Ministry of Health) bekommen, bei den fieberhaften, aber für Ebola negativ getesteten Patienten die zugrunde liegenden Infektionen zu behandeln – statt sie, wie es diesen Fällen sonst bei anderen ETUs so geht, nach Ebola-Ausschluss wieder vor die Tür zu setzen: darum werden wir inzwischen SITTU (Severe Infections Temporary Treatment Unit) statt ETU genannt, was sich rumgesprochen hat und in steigenden Patientenzahlen resultiert. Die dafür notwendige Triage (also das Sichten und Sieben der Patienten auf Ebola und das Unterscheiden zwischen Infektions- und anderen Erkrankungen) muss intensiv geübt werden und wird inzwischen von uns auch Mitarbeitern anderer ETU´s und anderer Krankenhäuser beigebracht. Letztere, wenn sie überhaupt schon wieder aufgemacht haben und selbst wenn sie eigentlich große Referenz-Krankenhäuser sind (bspw. das sog. John-F-Kennedy-Hospital in Monrovia), kommen bemerkenswerterweise damit noch nicht besonders gut zurecht. Demnächst sollen weitere ETUs in SITTUs umgewandelt werden (derzeit rechnet man mit einer Stehzeit unseres Projektes bis Juni oder Juli d.J.).

Womit vertreiben wir uns hier also den Tag lang so die Zeit?? Außer mit Gummihülseanziehen, -ausziehen und anschließendem Stiefelausgießen (siehe Illustrationsfoto), Luftholen, Trinken, Duschen geht eine erstaunliche Menge Zeit auch für Bürokratie drauf: jeder Fall, mit oder ohne Ebola, ob ambulant geblieben oder stationär, muss ans MoH gemeldet werden, mit Kennziffern versehen werden, Kontaktdaten für das sog. Contacttracing erhoben werden (damit wird evtl. Ansteckungsfällen von sog. Case Investigators hinterhergeforscht: eine enorm aufwändige, aber von den Liberianern ja tatsächlich erfolgreich[!] durchgeführte Aufgabe), Diagnosen, Aufenthaltsorte, Reisewege der Patienten müssen übermittelt werden, täglich ist eine Belegungsstatistik zu erheben. Und dazu kommt noch unser betriebsinterner Formularverkehr: wer mal mit Großinstitutionen wie DRK oder eben der Bundeswehr zu tun hatte,weiß, dass bspw. Letztere nicht nur, ihrem Slogan gemäß, Sicherheit produziert, sondern auch Papier. Und der legendäre Abkürzungsfimmel der Bw (Kostprobe: „DEU EinsKtgt HumHiWa/ UstgElm DRK MONROVIA“ heißt im oliven Jargon das Projekt, in dem ich arbeite) verhindert nicht, dass Seite um Seite vollgetextet wird.

Nicht nur Befundberichte und Anordnungen, auch Konferenzpapiere, SOPs, Certificates, Order forms, Field Visit Reports, Requiration forms, lab-, x-ray und sonstige requests wollen ausgefüllt werden.
Vieles geht aber fein auf Laptops zu machen, so wie überhaupt in mancher Hinsicht die technische Ausrüstung vorsichtig als „nicht unnötig sparsam“ bezeichnet werden kann. Auch sonst ist unsere Unit nicht ganz frei vom deutschen Perfektionsanspruch: Unsere Zelte haben Beton- statt Erdfußboden, Einzelparzellen für jeden Patienten, werden von (sich ja schon nach 5 Jahren amortisierenden) Energiesparlampen erhellt, deutsche Feuerschutzbestimmungen werden genauso beachtet wie die Energieeffizienz unserer Waschmaschinen und Trockner; unser Camp-Wasser erfüllt die deutsche Trinkwassernorm und die verschiedenen Chlorlösungen kommen bei uns aus Leitungen statt aus Eimern. Und selbstverständlich hält der Verbrennungsofen für unsere infektiösen Abfälle die deutschen Dioxin-Normen ein. (Noch für die Mediziner unter Euch: neuerdings sind wir in der Lage, sogar Hepatitis B und C zu unterscheiden und den Ascorbinsäuregehalt im Urin bestimmen zu können; für die Beschaffung von genug BZ- und SPO2-Geräten war aber etwas Nachdruck vonnöten…)

Uneingeschränktes Lob gehört den Ebola-Sicherheitsmaßnahmen für die Arbeit am Patienten: dies läuft so tadellos, dass ich, in meiner pädagogischen Art, Neuankömmlingen in unserem Projekt zu vermitteln pflege, dass die größte gesundheitliche Gefährdung hier in Monrovia eher von den drei warmen Mahlzeiten ausgeht, die wir hier jeden Tag in unserem Hotel bekommen.

Ja, Ihr habt richtig gelesen: HOTEL. Eingedenk alter Erfahrungen mit der Firma „Y-Reisen“ war ich eher auf Zelten und Klappspatenromantik eingestellt gewesen. Aber nix da: man hat ein älteres (chinesisches!) Hotel in fußläufiger Nähe zu unserer SITTU reaktiviert, dort stehen uns außer den erwähnten üppigen Mahlzeiten für jeden ein Einzelzimmer mit Air Con, eigenem Bad und sogar Fernsehen zur Verfügung (wobei der Genuss durch eine vorwiegend chinesische Senderauswahl doch etwas geschmälert wird). Zu beklagen habe ich also höchstens, dass wenig Zeit und wenig Raum für´s Joggen zur Verfügung bleibt – denn trotz seit gestern wieder geöffneter Schulen bleiben die nächtliche Ausgangssperre und andere Sicherheitsrestriktionen noch bestehen und ich kann nur um das uns benachbarte Stadion x-mal drumrumlaufen: die Jungs von der anliegenden UN-Kaserne kennen mich schon und rufen mir Aufmunterndes zu, wenn ich in der Abenddämmerung keuchend um die Ecke biege.

Ihr seht: außer den Speckrollensorgen und der tragbaren gelben Sauna habe ich fast nichts auszustehen und grüße Euch Alle bis zum nächsten Mal,
Euer
R.

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Frank Pessler 22.02.2015

Hallo Rolf-Ferdinand,
Das ist ja ein toller Einsatz! Könntest Du nach der Rückkehr nach Hannover in irgendeiner Form einen Vortrag darüber halten? Weiterhin alles Gute! Frank

Gertraude Göpner 02.03.2015

Hallo zusammen,

an so einem Vortrag wäre ich auch sehr interessiert! Könnte der – wenn er zustande kommt – einfach im Blog angekündigt werden?
Wann ist denn der Einsatz beendet?
Hut ab, ein weiteres Mal!
Viele Grüße!!! Gertraude Göpner

vordruck 02.03.2015

Wenn er zustande kommt mache ich gerne eine Ankündigung mit Rundmail 🙂 No problem.
VG, Annette

Gertraude Göpner 02.03.2015

Lieber Herr Dr. Gehre,

das ist alles wahnsinnig beeindruckend und nötigt mir den größten Respekt ab! Einfach so total was anderes als mein kleiner Tierschutz und im Vergleich dazu wirklich was „Richtiges“…
Einen Erlebnisbericht nach Ihrer Rückkehr fände ich auch ganz fantastisch und wichtig.
Herzl. Gruß, Gertraude Göpner.