Sierra Leone, 5. Februar 2012

Lieber nicht lässig mit Lassa

Im OP, beim Kaiserschnitt

Im OP, beim Kaiserschnitt

Gerade komme ich wieder von einer Aufnahme auf die Maternity, die Schwangeren-Station. Warum grade die schwangerschaftskorrelierten Erkrankungen mich so auf Trab halten, kann u.A. mit zwei Zahlen grade dieser aktuellen Patientin illustriert werden: es sei jetzt die achte Schwangerschaft, sie habe drei lebende Kinder und sei zwanzig Jahre alt. Da viele hier ihr Alter nicht so genau wissen, mag man vielleicht auch ein oder zwei Jahre beim Alter hinzurechnen – dennoch würdet Ihr wahrscheinlich meiner Ansicht zustimmen, dass das ein bisschen zu viel schwanger in zu jungen Jahren ist, oder?

Vor zwei Tagen haben wir hier meinen 101. Eingriff gefeiert – und einen kleinen Rekord habe ich damit auch gebrochen. Manches davon waren natürlich nur kleine Eingriffe, so wie Wundnähte, Abszesseröffnungen, Curettagen etc., aber es gab auch Größeres: besagte 101. OP beinhaltete meine erste Darmexcision und -naht, da ein in einem Leistenbruch eingeklemmter Darm nekrotisch geworden war (für die Nichtmediziner: schwarzer Gewebeuntergang durch Abdrosselung der Blutzufuhr).

Die etwas größeren Eingriffe, sintemalen die im Oberbauch, laufen unter eher „pittoresken“ afrikanischen Bedingungen ab: zunächst mal signieren die meisten Patienten ihre Op-Einwilligung mit Daumenabdruck statt Unterschrift, denn 2/3 der Menschen sind Analphabeten. Sodann werden sie mit losen, klassischen Rasierklingen im Op-Gebiet rasiert – das ziept ordentlich, aber keiner verzieht eine Miene.
Die Narkose geschieht unter Weltkriegs-II-Bedingungen: eine alte Äther-Maschine kommt zum Einsatz (so wie es mein Vater nach dem Krieg noch im Nordstadtkrankenhaus erlebt und mir erzählt hat). Die elektrische Blutstillung (Kauterisation) darf dann wegen Explosionsgefahr nicht zum Einsatz kommen.
An den nicht sehr riskanten Stellen kommen statt atraumatischen Nahtmaterials noch die klassischen Einfädelnadeln mit losen, weil billigeren Nahtfäden zum Einsatz – in Deutschland gibt´s die schon lange nicht mehr.
Die Beatmung dieser Oberbaucheingriffspatienten macht der Anaesthesiepfleger zwar mit Intubation, aber anschließend mit geduldiger, z.T. ja stundenlanger Hand(!!)beatmung.

Man gut, dass wenigstens die Bäuche von innen so ähnlich aussehen wie im Friederikenstift in Hannover – die Prozeduren drumrum tun das, wie geschildert, nicht so sehr.

Neben den chirurgisch-geburtsheleferischen Dingen gibt es ja aber auch noch Internistisches zu tun:
Die Malaria hat wegen der „kühlen“ Temperaturen etwas nachgelassen; Tuberkulosefälle (auch in Knochen und Gehirn) haben wir wiederum derzeit mehrere. Wurmkrankheiten gibt´s sehr viele, Atemwegs- und Magendarminfekte sowieso. An Tropendingen vermehrt beschäftigt hat uns die Diagnostik für einen Gelbfieberfall und zwei Sichelzellkrisen sowie je zwei Thalassämie- und Enzymmangelverdachtsfälle (für Mediziner: G-6-Ph-D-Mangel ist hierzulande häufig [Inzidenz um 20%!], aber laborchemisch nicht diagnostizierbar – dennoch werden malariapositive Schwangere hier routinemäßig mit Fansidar behandelt, was aber bei G6PhDM hämolytisch wirken kann. Das, fand ich, muss geändert werden).
Augenbrauenheraufziehend war die Nachricht, dass in der nächstgelegenen Stadt mehrere Fälle von Lassa-Fieber (einem Viralen Hämorrhagischen Fieber (für Nichtmeds: eine ggf. zu schwerer Blutauflösung führende Viruserkrankung) aufgetaucht sind.

Die meisten Fälle verlaufen mild, ganz anders als beim verwandten Ebola-Fieber. Dennoch screenen wir jetzt alle hohen Fieberfälle auf mögliche Lassa-Anzeichen und haben zwei Isolationsräume und Schutzkleidung, Masken etc in petto. Bisher wurden wir noch nicht fündig, wollen aber lieber vorsichtig sein.
Denn wie hieß es zu Lassa so schön bei unseren Seminaren am Missionsärztlichen Institut Würzburg:
„Europäer, die mehr als nur eine milde Form abbekommen, reisen in der Regel als Luftfracht nach Hause“ – und die Mehrkosten wollen wir Ärzte-für-die-3.Welt natürlich gern ersparen!

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