Sierra Leone, 8. September 2012

Endlich Chefarzt!

Unterricht der Schwesternschüler

Unterricht der Schwesternschüler

Lasst mich wegen manch besorgter Anfrage vorwegschicken: wir leben Alle noch, wir sitzen nicht mal dauernd auf dem Toi und nach dem dritten Fall hat sich kein weiter Choleraverdacht mehr ergeben – wir haben hier also nicht mal ein Rinnsal der Welle abbekommen, die durch Freetown ging. Von Epidemie ist hier also gar nichts zu spüren und wir hoffen jetzt einfach, dass es sich weiter in diesem Rahmen halten wird. Apropos Haltung: die müsst Ihr jetzt annehmen, denn ich habe Euch bislang die grandiose Nachricht meiner Beförderung vorenthalten!

Jawoll, Chefarzt bin ich jetzt – zwar nur komissarisch und nur für kurze Zeit, aber immerhin.

Na klar habe ich gleich nach meiner Ernennung zum Medical Superintendent in charge (nach Dr. Kargbos Weggang) eine zackige Chefarztvisite angeordnet, mir die Türen aufreißen lassen und die neue Würde überhaupt in vollen Zügen genossen. Der Job ist klasse und wir haben eine Menge Spaß damit!
Alles klappt natürlich jetzt viel besser, sogar das Wetter: schon seit vier Tagen regnet es nur noch ein Viertel des Tages und manchmal hat man jetzt tatsächlich trockene Füße – ein ungewohntes Gefühl.

Gelegentlich arbeiten wir aber auch; für die Mediziner unter Euch sei die tropenmedizinische Jagdstrecke der etwa letzten 10 Tage ausgebreitet: außer der schon erwähnten Cholera und Malaria gab es noch lymphatische Filiariose, Sichelzellanämie, zwei nephrotische Syndrome, ein postheptitisches Leberzellkarzinom, ein Amöbom, mehrere Lambliasisfälle, eine Bilharziose und als derzeitige Kopfzerbrecher 1 V.a. viszerale Leishmaniose (Kala Azar), einen V.a. pulmonalen Wurmdurchgang und eine MDR-Tuberkulose. Auf der Maternity häufen sich die Krampfanfälle, die aber keineswegs alle eklamptisch sind und chirurgischerseits gab´s neben Hernien in den seltsamsten Formen zwei extern erworbene Hirnkontusionen – die eine eine Dame wegen des buchstäblichen Sackes Reis, die andere ein Herr wegen – wie soll´s anders sein – einer Frau (und das ist ja nicht so fremdländisch…).

Seit ich mein schickes neues Amt habe, bekomme ich natürlich noch mehr Anfragen als vorher schon von der Art, ob ich nächstes Mal einen Laptop, einen Fotoapparat, ein Auto mitbringen könnte; ob ich für einen Bruder einen Job und für einen Sohn ein Stipendium hätte und ob ich nicht mal eben alle Gehälter erhöhen oder den angeblich diebischen Lagerverwaltern hinterherforschen oder überhaupt mal ein Exempel an all den unzureichend arbeitenden Mitarbeitern (außer dem Petendenten selbst) statuieren könnte. Sogar wen sie wählen sollen bei den im November anstehenden Nationalwahlen, werde ich gefragt. Die Klippen dieser Gesprächsführung zu umschiffen erfordert, glaubt es mir, sehr hohen navigatorischen Einsatz.

Nun rückt langsam aber unvermeidlich in der übernächsten Woche auch schon das Ende meines diesmaligen, recht kurzen Einsatzes in Sicht – und damit auch das Welken des chefärztlichen Lorbeers. Aber nicht nur deshalb ist es ein wenig schade – auch neben diesem Spaß und neben auch viel Anstrengendem gab und gibt es ja auch Freude und fast schon ein Zuhausegefühl hier. In diesem Sinne soweit erst mal

Euer
R. (MD, DTM, Med.Sup.Int.) 🙂

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