Philippinen, 26. Mai 2014

Wie ich philippinischer Fernseh-Star wurde!

A star was born ...

A star was born …

Liebe Alle,
gestern sollte eigentlich, trotz Dienstes, ein erholsamer Sonntag werden. Die Vormittagsstationsarbeit war zwar auch reichlich, aber schaffbar gewesen und ich hatte – bei großer Mittagsschwüle – grade geduscht, als ich von einer Schwester zu unserer Gynäkologin in den Kreißsaal zur Hilfe gerufen wurde. Ich war immer noch spärlichst bekleidet, als sie schon wieder kam und „Emergency, emergency!“ rief und ich – buchstäblich im Laufen noch die Hose hochziehend – losflitzte. 
Im Kreißsaal blutete eine Frau heftigst aus einem Gebärmutterhalsriss. Inzwischen zum Hilfsanästhesisten aufgestiegen, rief ich einer Hebamme die Narkosemitteldosierungen zu und werkelte dann zusammen mit der Gynäkologin über eine Stunde schweißüberströmt an der Frau herum. Schließlich war die Blutung bis auf weiteres gestillt.

Hätt´schlimmer kommen können, dachte ich und freute mich auf eine Atempause.
Aber ich wurde direkt in den Notaufnahmeraum gelotst und es kam schlimmer …

… nicht nur ein schmerzgeplagter Durchfall und ein Kind mit Kopfplatzwunde warteten schon auf mich, sondern auch ein beim inzwischen eingesetzt habenden Platzregen verunglückter Motorradfahrer: außer vielen Fleischwunden ein völlig schiefes Gesicht infolge einer Le-Fort-Fraktur re (Einbruch des Gesichtsschädels im Bereich der Augenhöhle) und eine übel dislozierte Nasenbeinfraktur.

Auch das noch, dachte ich und wollte nach Erstversorgung mit Infusion und Schmerzbehandlung grade mit dem Zusammennähen der Wunden beginnen – da kam es schlimmer: Denn just in diesem Moment fuhren laut hupend ein Jeepney und ein Klein-Lkw auf den Hof und entluden auf Tragetüchern einen Verletzten nach dem anderen: 26 (!!) Verletzte zählten wir später zusammen. 
Im Behördensprech der deutschen Feuerwehr nennt man das „ManV“ – einen „Massenanfall von Verletzten“, bei dem üblicherweise ein Leitender Notarzt eingeflogen und die ganze Rettungskette in Gang gesetzt wird.
Wir durften das hier alleine managen. Kriegsähnliche Bilder spielten sich ab mit lauter auf der Erde oder auf Tragen und Bänken abgelegten Verletzten, schreienden Kindern und stöhnenden (oder bewusstlosen) Erwachsenen.

Absolut toll war, dass nicht nur meine gynäkologische und meine pädiatrische Kollegin zum Helfen auftauchten, sondern von überall her lauter eigentlich dienstfrei habende Schwestern, Pfleger und Hebammen unseres Teams! Drei Tote hatte es gleich an der Unfallstelle gegeben: ein mit lauter Menschen beladener Lkw war beim Sturzregen eine tiefe Böschung herabgestürzt.

Unter unseren Patienten waren acht Schwerstverletzte – die erste drohte sogleich zu versterben und hat nur ganz gegen mein Erwarten überlebt. Anderthalb Stunden haben wir gewirbelt, bis ich die Triage (Einteilung nach Verletzungsstärke und Überlebensaussicht) durchgeführt und einen ersten Überblick gewonnen und die medikamentöse Notversorgung und Schmerztherapie eingeleitet hatte (für Mediziner: die Ketanest-Spritze habe ich eine Stunde lang gar nicht mehr aus der Hand gelegt…). Dann schiente ich Knochenbrüche mit Pappprovisorien, wir sichteten die leichter Verletzten weiter und nähten die größeren Wunden zusammen, um Transportfähigkeit herzustellen. Drei sehr schwer Verletzte pferchten wir liegend so auf der Ladefläche unseres Geländewagens zusammen, dass sie auf der schlechten Straße eh nicht mehr groß hin- und herwackeln konnten und schickten sie eilig los.

Nach mehr als drei Stunden waren dann die Ambulanzautos und ein großer (hochmoderner!) Lazarettbus aus Davao eingetroffen, plötzlich flackerte ganz viel Blaulicht. Bis Alles verladen und transportfähig war, verging noch mal eine Menge Zeit.
Aber um es vorwegzunehmen: Alle unsere Patienten sind (naja – nicht grade: heile) in der Uniklinik von Davao angekommen und alle haben überlebt.

Aber die Diagnoseliste ist stattlich: drei Kreislaufschocks,  eine extrem blutende Kopfwunde mit Schädelfrakturverdacht, drei Humerus (Oberarm)-Frakturen, eine offenen und zwei geschlossene Femur(Oberschenkel)-Frakturen, ein offener Mittelhandbruch,  1 Unterschenkelfraktur, einem Schlüsselbein-, einem Jochbeinbruch, zwei, drei Rippenbrüche und mehrere Rückenverletzte mit mindestens einem Wirbelbruch samt beginnenden Querschnitt sowie viele, viele Schnitt- und Platzwunden, Prellungen, Stauchungen etc.

Nachdem alle Patienten abgefahren waren, ich Blut, Dreck und Schweiß nach diesen Stunden endlich abgeduscht hatte und frisch eingekleidet wieder zwecks Erledigung der Alltagsarbeit auf die Station zurückgekehrt war, war inzwischen auch das Fernsehen da. 
Außer dem noch blutverschmierten Notfallraum haben sie wohl nicht mehr so viel Motive gefunden und nahmen daher mit mir vorlieb: ich wurde von einer klitzekleinen Reporterin interviewt und bin gestern Abend und heute tagsüber in den nationalen und regionalen Nachrichten erschienen. A new star is born… (zumindest hier in unserem kleinen Kaff!).

Wie unheimlich froh wir sind, dass Alles hingehauen hat, brauche ich nicht sagen, oder?

Viele Grüße, bis demnächst,
Euer
Rolf

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Claudius 28.05.2014

Lieber Rolf-Ferdinand,
Da hast du Großes geleistet, zu rechter Zeit am rechten Ort! Glückwunsch! Wie schön, dass du uns deine Erlebnisse weiter mitteilst, weiterhin eine glückliche Hand und alles Gute! Bis bald,
Beste Grüße von
Susanne und Claudius aus dem sicheren, aber augenblicklich auch etwas regnerischen Hannover

Charlotte Zücker 29.05.2014

Lieber Rolf-Ferdinand, hab Dank für Deine interessanten Berichte. Da bist Du ja tüchtig gefordert. Dein Bericht erinnerte mich an das Chaos in Dresden. Bleibe gesund und komme gesund wieder Daheim an. Und natürlich herzlichen GLückwunsch ! liebe Grüße , Charlotte

Kristina Horn 31.05.2014

Höchsten Respekt aus Cagayan de Oro!